Weiß die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nicht, was ein Telekommunikationsvertrag ist?
IP-Daten bei Radio Dreyeckland Interview mit Detlef Georgia Schulze über irritierende Auskünfte der Behörde über ein Ermittlungsverfahren, das sie gegen Redakteure des Freiburger Senders Radio Dreyeckland (rdl) führt
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ermittelt gegen zwei Redakteure des ältesten freien Radiosenders in der Bundesrepublik wegen angeblicher Unterstützung einer verbotenen Vereinigung durch Setzen eines Links in einem Artikel – und versuchte dafür auch die IP-Adressen aller LeserInnen der rdl-Webseite seit 15. Juli des vergangenen Jahres zu erhalten. Peter Nowak sprach darüber mit Detlef Georgia Schulze, der*die den Fall für die taz-Blogs recherchiert hat.
Frage: Letzte Woche ging die Meldung durch einige Medien: „Die Staatsanwaltschaft [Karlsruhe] wollte sogar alle IP-Adressen der Menschen haben, welche die Webseite des Senders [Radio Dreyeckland] besucht hatten“ (z.B.netzpolitik.org vom 07.02.2023). Sie haben dazu etwas genauer recherchiert und die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gefragt, was sie zu dem Vorwurf zu sagen hat. – Was ist dabei herausgekommen?
Schulze: Die Staatsanwaltschaft sagt, sie habe bloß nach „personenbezogene[n] Bestandsdaten“ über rdl im Sinne der §§ 172 ff. Telekommunikationsgesetz gefragt und dazu gehöre die „– beschränkt auf administrative Zugriffe – abgefragte zugeteilte letzte IP-Adresse“.
Zum Unterschied zwischen Telekommunikation und
Webhosting (Bereithaltung eines Telemediums)
Frage: Und was halten Sie von der Antwort?
Schulze: Wenig.
Frage: Warum?
Schulze: Erstens: Jedenfalls in dem mir bekannten Ausschnitt des Schreibens steht nichts von „administrativen“ Zugriffen oder der „letzte[n]“ zugeteilten IP-Adresse, sondern da wird ganz allgemein nach „IP-Zugriffen“ auf die rdl-Webseite gefragt.
Zweitens: Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat ihre Anfrage an die Strato Aktiengesellschaft geschickt. Diese ist aber nicht die Telekommunikationsvertragspartnerin von rdl, sondern die Webhosting-Vertragspartnerin von rdl.
Frage: Warum kommt es auf den Unterschied an?
Schulze: Weil sich die Staatsanwaltschaft auf Normen im Telekommunikationsgesetz beruft, und Webhosting aber nicht Telekommunikation ist.
Frage: Aber was heißt das denn nun konkret für Radio Dreyeckland?
Schulze: Das heißt: Radio Dreyeckland hat mindestens zwei Verträgen:
einen mit Strato über die Bereithaltung eines Telemediums und einen Vertrag mit einer anderen Firma über Telekommunikationsdienste.
Wenn sich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe für rdl-Bestandsdaten in Bezug auf Telekommunikationsvertäge interessieren würde, dann wäre sie bei Strato also von vornherein schon mal an der falschen Adresse.
Außerdem hat die Staatsanwaltschaft ja auch ganz konkret nach „Zugriffen“ auf die Webseite gefragt. – Das heißt: Es ist ganz fernliegend, dass die Staatsanwaltschaft nur deshalb Strato gefragt hat, weil sie vielleicht nicht wusste, mit welcher Firma Radio Dreyeckland seine Telekommunikationsverträge abgeschlossen hat.
Für Zugriffe auf die Webseite von rdl, wonach die Staatsanwaltschaft gefragt hat, war sie dagegen bei Strato an der richtigen Adresse – nur, dass es sich dabei, soweit es Strato anbelangt, nicht um Telekommunikation handelt und deshalb die Berufung auf das Telekommunikationsgesetz zur Begründung der Anfrage ungeeignet war.
Frage: Aber darf denn nicht auch nach Bestandsdaten zu Telemedien-Bereithaltungs-/Webhosting-Verträgen gefragt werden und hat nicht auch der rdl-Server bei Strato eine IP-Adresse?
Antwort: Ja, der Server hat auch eine IP-Adresse, aber um diese zu erfahren, muß die Staatsanwaltschaft nicht erst Strato oder andere fragen. Diese IP-Adresse ist vielmehr öffentlich bekannt, da der Server ja erreichbar sein muß, wenn Leute die Webseite von rdl lesen können sollen.
Hinzukommt: Die Staatsanwaltschaft hat nicht nach einer bestimmten IP-Adresse (z.B. des Servers von rdl) gefragt, sondern ganz allgemein nach Zugriffen auf die Webseite von rdl.
Frage: War das rechtmäßig? Oder anders gefragt: Hat die Staatsanwaltschaft nur die Begriffe Telekommunikation und Telemedien sowie das Telekommunikations- und das Telemediengesetz verwechselt, und ansonsten war alles in Ordnung?
Schulze: Nein. Es war weder rechtmäßig, noch nur eine Begriffsverwechslung. Meine Hypothese, die ich aber nicht beweisen kann, ist: Die Staatsanwaltschaft hat die Begriffe nicht versehentlich verwechselt, sondern sie hat absichtlich die Begriffe und Gesetze vertauscht, um die Rechtswidrigkeit ihres Ansinnens zu verschleiern.
Frage: Wie kommen Sie darauf? – Das ist ja schon ein ziemlich starker Vorwurf…
Antwort: Aus zwei Gründen gelange ich zu dieser Hypothese: (1.) Die Staatsanwaltschaft hat nach „IP-Zugriffen“ (im Plural) auf die Webseite – und nicht nach einer einzelnen Adresse – von rdl gefragt. Das ist eindeutig – da lässt sich nicht drumherum reden. (2.) Auch für derartige Datenabfragen gibt es eine Norm, aber die hat deutlich strengere (engere) Voraussetzungen als eine einfache Bestandsdatenabfrage.
Nutzungsdaten-Abfrage nur in Bezug auf Beschuldigte und deren sog. ‚Nachrichten-MittlerInnen‘ zulässig
Frage: Welche Voraussetzungen sind das?
Antwort: Für den rdl-Fall genügt, auf eine einzige dieser Voraussetzungen zu sprechen zu kommen – derartige Nutzungsdaten-Abfragen (wie es in der Strafprozessordnung heißt) sind nur in Bezug auf Beschuldigte und deren sog. ‚Nachrichten-MittlerInnen‘ zulässig – nicht aber in Bezug auf Hilde Hinz und Kurt Kunz, die irgendeine (hier: die rdl-)Webseite aufrufen.
Frage: Wo steht das?
Antwort: Das ist nun ziemlich kompliziert – aufgrund der verschachtelten Verweisstruktur in der Strafprozeßordnung.
Fangen wir vielleicht in der Mitte an:
§ 101a Absatz 1a Strafprozessordnung lautet: „Bei der Erhebung und Beauskunftung von Nutzungsdaten eines Telemediendienstes nach § 100k gilt § 100a Absatz 3 und 4 […] entsprechend mit der Maßgabe, dass in der Entscheidungsformel nach § 100e Absatz 3 Satz 2 an die Stelle der Rufnummer (§ 100e Absatz 3 Satz 2 Nummer 5), soweit möglich eine eindeutige Kennung des Nutzerkontos des Betroffenen, ansonsten eine möglichst genaue Bezeichnung des Telemediendienstes tritt, auf den sich das Auskunftsverlangen bezieht.“ (meine Hv.)
Dann vielleicht noch eine Erklärung zu den Paragraphennummern – für diejenigen, die es nicht eh wissen: Normalerweise sind die Paragraphen eines Gesetzes fortlaufend nummeriert; wird aber später ein zusätzlicher Paragraphen eingefügt, so wird er nicht einfach ans Ende des Gesetzes angefügt, sondern da eingefügt, wo er nach dem inhaltlichen Zusammenhang hinpasst. Die folgenden Paragraphen werden dann aber nicht alle neunumeriert, sondern an die Nummer des vorstehenden Paragraphen aus der ursprünglichen Gesetzesfassung wird ein Buchstabe angehängt – also:
Wird nach § 100 nachträglich ein Paragraph eingefügt, dann wird das § 100a; wird noch ein weiterer Paragraph nach dem neuen § 100a eingefügt, dann wird das § 100b usw.
Zurück zu der gerade zitierten Norm. Sehen wir uns zunächst die sog. „Rechtsfolge“ – also, das was die Norm anordnet – an: „gilt § 100a Absatz 3 […] entsprechend mit der Maßgabe, [… usw.]“
Sehen wir uns nun an, was in § 100a Absatz 3 StPO steht – das Folgende: „Die Anordnung darf sich nur gegen den Beschuldigten oder gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss oder ihr informationstechnisches System benutzt.“
Die im hinteren Teil der Norm beschriebenen Leute werden zusammenfassend ‚Nachrichten-MittlerInnen‘ genannt. – Also: Die Anordnung, um die es hier geht, darf nur gegen Beschuldigte und deren ‚Nachrichten-MittlerInnen‘ergehen.
Um welche Anordnung geht es nun eigentlich? Um die, die uns interessiert: „Erhebung und Beauskunftung von Nutzungsdaten eines Telemediendienstes“. Der Teil einer Norm, der beschreibt, unter welchen Voraussetzung die in der Norm genannte Rechtsfolge eintritt, wird „Tatbestandsvoraussetzung“ genannt.
Die Tatbestandsvoraussetzung der Rechtsfolge, ‚darf nur gegen Beschuldigte und deren ›Nachrichten-MittlerInnen‹ angeordnet werden‘, ist, also: Es handelt sich um „Erhebung und Beauskunftung von Nutzungsdaten eines Telemediendienstes“. Darum handelt es sich bei dem, was die Staatsanwaltschaft Karlsruhe tatsächlich abgefragt hat (auch wenn sie vielleicht keine klare Vorstellung von dem hatte, was sie tut): Leute, die eine Webseite (= Telemedium) lesen, greifen auf diese Webseite zu / nutzen sie – und dabei fallen Nutzungsdaten an, z.B. die IP-Adressen der LeserInnen.
Genaueres dazu in steht § 100k Absatz 1 Strafprozessordnung (damit sind wir bei dem anderen von § 101a Absatz 1a StPO ausgehenden Verweis). Es handelt sich um Erhebung und Beauskunftung von Nutzungsdaten eines Telemediendienstes nach § 100k StPO Anordnung nur gegen Beschuldigte und ‚Nachrichten-MittlerInnen‘ zulässig
Frage: Um was für eine Straftat geht es denn in dem rdl-Fall überhaupt?
Antwort: Die Redakteure sollen eine verbotene Vereinigung dadurch unterstützt haben sollen, dass das Archiv der Webseite linksunten.indymedia in einem Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland verlinkt wurde. Der Straftatbestand der Unterstützung einer „unanfechtbar“ (bestandskräftig) verbotenen Vereinigung steht in § 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch; Strafrahmen: bis zu 3 Jahren Knast. Außerdem gibt es weitere Tatvarianten in § 85 StGB: mitgliedschaftliche Betätigung (der gleiche Strafrahmen – ebenfalls in Absatz 2) sowie einen höherer Strafrahmen von bis zu fünf Jahren in Absatz 1 für sog. „Rädelsführer“ (‚das Zepter schwingen‘) und „Hinterm[ä]nner“ (‚von außen Steuernde‘).
In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird – jedenfalls teilweise – vertreten, dass eine „erhebliche Bedeutung“ im Sinne von § 100k Absatz 1 Satz 1 StPO erst ab einer Strafobergrenze von mehr als 3 Jahren gegeben sei. Letzteres trifft – wie gerade schon gesehen – nur auf die Tatvariante in Absatz 1 zu, aber nicht auf die ‚Unterstützung‘, die den rdl-Redakteuren vorgeworfen wird.
Frage: Und was ist mit „die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht“?
Schulze: Das ist halt die x-te Formulierungsvariante zum sog. „Verhältnismäßigkeitsprinzip“. – Ich halte davon nicht viel, weil alldiese Formulierungsvarianten für jeden politischen Opportunismus anfällig sind.
Zur Rechtssicherheit – das heißt: zur Berechenbarkeit, wann die Staatsgewalt zuschlägt und wann nicht – trägt das jedenfalls nicht bei; auch wenn ab und an ein paar ‚Tolerenz-Brosamen‘ abfallen.
Unterstützung einer nicht mehr existierenden Vereinigung – eine logische und rechtswissenschaftliche Unmöglichkeit
Frage: Und hat die Staatsanwaltschaft Ihres Erachtens den Verdacht gegen die beiden rdl-Redakteure zurecht bejaht?
Schulze: Nein, denn die „Vereinigung“, die die beiden rdl-Redakteure „unterstützt“ haben sollen, existiert gar nicht mehr – auch das Bundesinnenministerium hat nach eigenen Angaben keine gegenteiligen Erkenntnisse. Auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe behauptet nichts Anderes. Trotzdem meint sie, eine Unterstützung jener „Vereinigung“ sei möglich. Obwohl das eigentlich eine intellektuelle – und politisch ohnehin – Zumutung ist, habe ich auch dazu ein paar Zeilen in meinem Artikel bei den taz-Blogs geschrieben.
Hinzukommt: ‚Unterstützung‘ durch eine Äußerung (hier: die Setzung eines – nach Unterstellung der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts Karlsruhe – identifikatorisch gemeinten Links) ist maximal sog. ‚Sympathiewerbung‘. Letztere war früher in Bezug auf Kriminelle und Terroristische Vereinigungen nach §§ 129, 129a StGB strafbar. Aber im Rahmen des – im rdl-Fall in Rede stehenden – § 85 StGB ist ‚Werbung‘ seit 1968 – als das Politische Strafrecht in der BRD etwas liberalisiert wurde – ganz generell nicht mehr strafbar. Auch dazu hatte ich vor kurzem schon etwas geschrieben.
Interview: Peter Nowak
https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/ip-daten-bei-radio-dreyeckland-weiss-die-staatsanwaltschaft-karlsruhe-nicht-was-ein-telekommunikationsvertrag-ist